Makroökonomische Ursachen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Performance der Euroländer seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise

Zeitraum: Wintersemester 2015/16
Projektleiter: Prof. Dr. Achim Truger


Bericht zum Forschungssemester WiSe 2015/16

1. Problemstellung

Die Europäische Union befindet sich seit 2009 in der tiefsten ökonomischen Krise seit ihrer Gründung. Insbesondere die Eurozone ist in einer anhaltenden Stagnation/Rezession gefangen und steht gegenwärtig an der Schwelle zu einer erneuten Rezession verbunden mit gravierenden Deflationsrisiken. Die Euro-Krisenländer der Peripherie können sich kaum aus der Rezession lösen und haben mit rasant gestiegenen Arbeitslosenquoten bei gleichzeitig steigender oder kaum rückläufiger Staatsverschuldung zu kämpfen. Gleichzeitig konnte Deutschland und - in geringerem Maße - auch Österreich mit einer deutlich besseren makroökonomischen Performance aufwarten. In Frankreich ist die Lage zwar besser als im Durchschnitt der Eurozone, allerdings dennoch sehr schlecht; es wurde von Teilen der Wirtschaftspresse bereits als neuer "kranker Mann" Europas ausgerufen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Ursachen der stark unterschiedlichen makroökonomischen Performance der einzelnen Euroländer. Diesbezüglich finden sich in der Literatur und der wissenschaftlichen Politikberatung unterschiedliche theoretische und empirische Erklärungsansätze, die mit entsprechend unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Lösungsansätzen verbunden sind. Das Forschungsvorhaben soll durch ausführliche Literatur- und Datenauswertung zur Klärung der tatsächlichen Ursachen der schwachen und stark unterschiedlichen makroökonomischen Performance im Euroraum seit 2009 und damit auch zur Identifikation aussichtsreicher Lösungsstrategien beitragen. Die vorliegenden unterschiedlichen Ansätze sollen mittels neuerer Literatur und relevanter empirischer Indikatoren auf ihre Plausibilität untersucht werden. Lässt sich die makroökonomische Performance durch Strukturfaktoren erklären, spielte das makroökonomische Politikregime die wesentliche Rolle oder können beide Ansätze zur Erklärung beitragen? Neben der für alle Euroländer möglichst einheitlichen Analyse soll ein besonderer Schwerpunkt auf ergänzenden Fallstudien zu den relativ erfolgreicheren Ländern Deutschland und Österreich sowie dem neuen "kranken Mann" Europas, der französischen Volkswirtschaft, liegen. Das Forschungsvorhaben soll – im Rahmen der Möglichkeiten – Aufschluss darüber vermitteln, welches die Ursachen der schlechten und zwischen den Ländern stark unterschiedlichen makroökonomischen Performance im Euroraum seit der Krise sind. Sind es – wie im Rahmen der Mainstream-Makroökonomie naheliegend und vermutet – strukturelle Hemmnisse bzw. strukturelle Reformen und spielen makroökonomische Politiken wie insbesondere der Grad der Restriktivität der Finanzpolitik nur eine untergeordnete Rolle, dann würde dies für eine Fortsetzung der bislang im Euroraum verfolgten und von der deutschen Bundesregierung unterstützten Krisenpolitik sprechen. Sind es dagegen im Wesentlichen makroökonomische Politikregime, d.h. die Ausrichtung und Koordinierung der makroökonomischen Politikbereiche (Geld-, Lohn- und Finanzpolitik sowie der außenwirtschaftliche Rahmen), dann läge eine Neuausrichtung der europäischen Krisenpolitik nahe, wobei sich dann zumindest ansatzweise auch die Frage der institutionellen Umsetzung bzw. der Implementation im bestehenden rechtlichen Rahmen behandelt werden sollte. Die ergänzenden Länderstudien sollen Aufschluss über länderspezifische Besonderheiten geben, insbesondere über die Frage, weshalb gerade Deutschland und Österreich bislang eine spürbar bessere makroökonomische Performance vorzuweisen hatten und warum Frankreich in den letzten Jahren so weit zurückgefallen ist und ob die bislang diskutierten Reformansätze erfolgversprechend sind oder nicht.

2. Ergebnisse und Veröffentlichungen

Gespeist durch Ergebnisse aus dem Projekt wurden fünf Veröffentlichungen erzielt/vorbereitet:

Referierte Zeitschrift:

Truger, A., Nagel, M. (2016): Austerity, Cyclical Adjustment and how to use the remaining leeway for expanisionary fiscal policies within the current EU fiscal framework, Turkish Economic Review, 3 (2): 235-255 (ISSN: 2149-0414).

Sammelbandbeiträge:

Truger, A. (2016a): ‘Saving decent capitalism’: An emergency programme for fiscal policy in the Euro area, in: Truger, A., Hein, E., Heine, M., Hoffer, F. (eds.) (2016): Monetäre Makroökonomie, Arbeitsmärkte und Entwicklung/Monetary Macroeconomics, Labour Markets and Development, Festschrift für / for Hansjörg Herr, Marburg: Metropolis, S. 113-126.

Truger, A. (2016b): Austeritätspolitik und Bildungskürzungen: Zur Diagnose und Therapie einer europäischen Krankheit, in: Bellmann, L., Grözinger, G. (Hrsg.): Bildung in der Wissensgesellschaft, Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft, Bd. 28., Marburg: Metropolis, erscheint demnächst.

Truger, A. (2016c): Die Goldene Regel für öffentliche Investitionen – eine äußerst wirksame Reformoption für die EU-Fiskalregeln, in: Hagemann, H., Kromphardt, J. (Hrsg.): Keynes und die europäische Integration, Marburg: Metropolis, erscheint demnächst.

Diskussionspapier:

Truger, A. (2016d): The Golden Rule of Public Investment: A necessary and sufficient reform of the EU fiscal framework?, IMK Working Paper No. 168, May, Düsseldorf: IMK in der Hans-Böckler-Stiftung.

Im Laufe des Projektes wurden wie angekündigt zunächst die gängigen Strukturindikatoren ausgewertet. Dies erwies sich im Hinblick auf die Fragestellung allerdings als unergiebig, da sich kein sinnvoller Zusammenhang zur ökonomischen Performance herstellen ließ. Tendenziell war es eher so, dass Indikatorbewegungen sich als Ergebnis von wirtschaftlichen Schwächephasen ergaben. Die Analyse der Makroindikatoren ergab, dass vor allem der Finanzpolitik und ihrem Expansions-/Restriktionsgrad eine wesentliche Rolle bei der Erklärung der makroökonomischen Performance zukam. Aus diesem Grund wurde besonderer Wert auf die Quantifizierung der fiskalischen Impulse gelegt. Anders als in einigen Vorarbeiten musste dabei die Umstellung auf die Totalrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen methodisch verarbeitet und berücksichtigt werden, was sich als relativ komplex erwies. Die Aktualisierung vormaliger Berechnungen vor diesem Hintergrund gelang erstmalig in Truger/Nagel (2016) auf der Basis des Datenstandes vom November 2015. Mit Datenstand May 2016 flossen ähnliche Ergebnisse in Truger (2016a-d) ein.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass mit der entsprechenden Methode die negativen Fiskalimpulse von 2009 bis 2015 erheblich stärker ausfallen, als von der EU-Kommission berechnet. Verzichtet man ab Mai 2010 auf eine Anpassung des Potenzialpfades, so sind die negativen Impulse im Schnitt etwa 30-50 % stärker. Die negative Korrelation der Fiskalimpulse mit der Wachstumsperformance ist hoch: Je stärker die negativen Impulse desto schlechter ist im Durchschnitt auch die Wachstumsperformance. Zusätzlich zu den Gesamtimpulsen wurde auch berechnet, wie sich die Finanzpolitik nach Ausgabenkategorien entwickelt hat. Besonderes Augenmerk wurde dabei den öffentlichen Investitionen und den Bildungsausgaben zuteil. Es zeigte sich, dass die öffentlichen Investitionen besonders unter der Austeritätspolitik litten, dass aber auch die Bildungsausgaben vor allem in den Krisenländern besonders stark zurückgefahren wurden. Damit muss neben dem Ausmaß Austeritätspolitik auch die strukturelle Zusammensetzung der Konsolidierungsmaßnahmen berücksichtigt werden.

Als wirtschaftspolitische Schlussfolgerung ergibt sich als dringlichste Maßnahme ein Verzicht auf weitere Austeritätspolitik und ein kräftiger positiver fiskalischer Impuls. Eine besondere Bedeutung können hier insbesondere die öffentlichen Investitionen spielen, da sie besonders starke kurz- wie langfristige Wachstums- und Beschäftigungswirkungen aufweisen.